Der Streit um die Antenne
In der Zeitschrift "Radio für Alle", Heft 5 von 1927 habe ich nachfolgenden Artikel gefunden, den ich hier im originalen Wortlaut wiedergebe. Es ist sicher interessant zu lesen, wie man damals über das Errichten von Antennen urteilte. Vielleicht entdeckt mancher auch Parallelen zur heutigen Zeit ?!
Aus der Rechtsprechung
Der Streit um die Hochantenne, um die Frage also, ob der Mieter berechtigt ist, ohne Zustimmung des Hausherrn das Dach eines Mietshauses zur Errichtung einer Hochantenne zu benützen, dauert noch immer an. Auf S. 294 f. des V. Jahrgangs haben wir ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 12.März 1926 mitgeteilt, das den Hausbesitzer zur Duldung einer Dachantenne verurteilt. In einer Entscheidung vom 5. Oktober 1926 (Aktenzeichen II 361/26) spricht dasselbe Gericht jedoch den Grundsatz aus:
Der Mieter eines Großmiethauses ist nicht berechtigt, ohne Erlaubnis des Hauseigentümers eine Hochantenne auf dem Dache des Hauses anzubringen.
Die Entscheidungsgründe widersprechen - wenigstens teilweise - den Ausführungen des vorerwähnten Urteils; es liegt daher im Interesse aller Funkfreunde, auch das neue Urteil kennen zu lernen. Eine baldige bestimmte Stellungnahme des Reichsgerichts ist bei dieser Haltung der Gerichte unerläßlich. Aus der Begründung des neuen Urteils ist hervorzuheben:
Die Klage des Hauseigentümers auf Entfernung der Antenne wurde vom Landgericht abgewiesen, jedoch vom Oberlandesgericht zugesprochen.
"Der Mieter eines Stockwerks ist nicht Mitbesitzer des Daches. Mag auch das Reichsgericht anerkannt haben, daß der Mieter eines Stockwerks als solcher an der Außenwand des Hauses, soweit sie seine Räume abschließt, den Mitbesitz hat, so daß er dort Schilder anbringen und anderen solches verbieten kann, so ist doch ein solches Mitbesitzrecht nicht auf das Dach auszudehnen. Ein Besitzrecht würde er nur aus dem nach Treu und Glauben aus der Verkehrssitte auszulegenden Mietvertrage herleiten können. Eine Verkehrssitte des Inhalts, daß jedem Stockwerksmieter von dem Vermieter mit der Wohnung auch das Hausdach zur Errichtung von Hochantennen zur Verfügung zu stellen wäre, hat sich nach Sachverständigenbekundung noch nicht gebildet. Es darf auch nicht gesagt werden, daß ein den berechtigten Wünschen des Mieters entgegenkommender Vermieter verpflichtet wäre, dem Mieter den Mitbesitz am Dache einzuräumen, damit er in die Lage kommt, sich Annehmlichkeiten zu verschaffen, die nicht zu den unentbehrlichen Lebensnotwendigkeiten gehören. Es ist bekannt, daß Radioapparate für Funkspruch sehr wohl ohne Hochantenne angebracht werden können, und wenn der Hauseigentümer einen derartigen Gebrauch der Mieträume nicht verbieten kann, so folgt daraus noch nicht, daß er dem Mieter auch die Benützung des Hausdaches gestatten muß, damit dieser durch eine Hochantenne eine bessere Wirkung erzielen kann. Gegenüber dem vom Mieter angezogenen Urteil des Reichsgerichtes vom 12.März 26 ist zu bemerken, daß, wenn ein Mieter das Recht auf Mitbesitz am Dache für Antennenzwecke durch den Mietvertrag erwirbt, das gleiche Recht keinem der anderen Mieter abgesprochen werden kann, woraus sich dann die Unzuträglichkeit ergeben müßte, die mit der Anlage zahlreicher Antennen auf dem Dache verbunden sein würden und die dem Hauseigentümer nach dem Mietvertrage nicht zugemutet werden dürften. Da hiernach der Vermieter dem Mieter den Mitbesitz am Dache nach dem Vertrage nicht eingeräumt hat und er selbst unmittelbarer Besitzer des Hauses, soweit es nicht vermietet ist, geblieben ist, so stellt sich die Anbringung der Antenne durch den Mieter als eine Störung des Besitzes des Eigentümers dar, und er ist nach § 826 B.G.B. berechtigt, die Beseitigung der Störung zu verlangen. Von einer Anwendung des Schikaneparagraphen (226 B.G.B.) kann nach der Sachlage keine Rede sein."
Jeder dieser Gründe ist durch das bereits mitgeteilte Urteil d e s s e l b e n Gerichts so überzeugend widerlegt, daß ein weiteres Eingehen darauf überflüssig erscheint. Die Praxis hat das größte Interesse daran, daß der vorstehend vertretene rein formalistische Standpunkt aus der Rechtsprechung verschwindet; er verkennt den heutigen Stand der Technik, widerspricht dem allgemeinen Rechtsempfinden und enthält den Keim zu einer bedenklichen Schädigung des Rundfunks, einer der größten Errungenschaften unserer Zeit. Da es sich nur um eine Mitbenützung des Daches handelt, ist es zwar nicht mehr als recht und billig, daß der Mieter zur Anbringung der Antennen vorher die Erlaubnis des Hauseigentümers einzuholen hat. Ein Verbietungsrecht kann diesem aber nur dann zugestanden werden, wenn die Anlage den bestehenden Einrichtungen oder den Rechten des Vermieters einen ernstlichen Schaden zufügt und wenn gar keine andere Möglichkeit gegeben ist, die Antenne ohne solche Schädigung anzubringen. Die Befürchtung des Zusammentreffens zu vieler Antennen dürfte nicht ernst zu nehmen sein; ein Blick auf die Häuser einer Großstadt zeigt das sehr deutlich.
Amtsgerichtsrat Coermann